Satire Als in Philippsthal die Mauer wieder aufgebaut wurde
Der Satz, auf den es ankommt, steht im Impressum des Frankfurter Satire-Magazins "Titanic": "Die endgültige Teilung Deutschlands - das ist unser Auftrag." Es ist das politische Vermächtnis des vor kurzem verstorbenen Karikaturisten und "Titanic"-Mitbegründers Chlodwig Poth.
Doch bis jetzt hat den Satz niemand so richtig ernst genommen, nicht einmal die "Titanic"-Redaktion, obwohl "wir die Spaltung Deutschlands immer thematisiert haben", sagt Chefredakteur Martin Sonneborn. Man habe sich immer aktiv in die deutsche Politik eingemischt, mit Aktionen im Westen und im Osten der Republik. In Bayern habe man der SPD geholfen ("Wir geben auf", "Mit Anstand verlieren"), in Thüringen die FDP unterstützt ("Judenfrei und Spaß dabei!"), in Sachsen und Brandenburg auf eigene Faust "Entnazifizierungs"-Kampagnen gestartet.
"Schröder und die SPD von der Verantwortung entbinden"
Sonneborn, 39, der sein Germanistik-Studium mit einer Magister-Arbeit über die "Titanic" abschloss, ist Demokrat aus Überzeugung. Deswegen ist er "in allen Parteien Mitglied", zahlt aber "grundsätzlich keine Beiträge". SPD, CDU, FDP und PDS lassen sich das gefallen, nur bei den Grünen ist er vor kurzem wegen säumigen Verhaltens rausgeflogen. "Unsere Parteien", sagt Sonneborn und verweist auf die Debatte um den Nationalfeiertag, "werden immer satirischer, also müssen wir immer politischer werden". Und weil es in Deutschland "keine linke Opposition gibt", beschloss Sonneborn, selbst eine Partei zu gründen, "um die SPD und Schröder von der Verantwortung zu entbinden". Ein einfacher und doch programmatischer Name war schnell gefunden, am 2. August fand die Gründungsfeier statt und seit dem 13. August hat "Die Partei" eine Homepage, auf der sie ihr Programm verkündet. Zentraler Punkt: "Der Wiederaufbau der Mauer".
Damit, glaubt Sonneborn, trifft er den Nerv der Nation, denn 21 Prozent der Bundesbürger in Ost und West möchten, glaubt man einer Forsa-Umfrage, die Mauer wiederhaben. In nur drei Monaten sind fast 4000 Deutsche in "Die Partei" eingetreten. "Eine interessante Mischung", freut sich Sonneborn, "junge Leute, Studenten, Selbständige, Medien-Mitarbeiter". Allen, die mitmachen wollen, verspricht er "eine niedrige Mitgliedsnummer - wer uns den Weg an die Macht ebnet, den vergessen wir nicht!"
"Bei uns darf jeder mitmachen, wir nehmen jeden Schwachkopf"
Die Frage, ob sich der SPD-Rebell Oskar Lafontaine schon gemeldet habe, beantwortet Sonneborn mit dem Satz: "Bei uns darf jeder mitmachen, wir nehmen jeden Schwachkopf", und verspricht einen "schmierigen und populistischen Wahlkampf". Zuerst in Nordrhein-Westfalen, wo im Mai 2005 der Landtag gewählt wird: "Der Weg nach Berlin führt über Düsseldorf." Es gebe schon 40 Ortsvereine, vor allem im Westen, im Osten sei "Leipzig eine Hochburg". Man sei im Gegensatz zur FDP "keine Spaßpartei" und wolle sich mit 18 Prozent nicht zufrieden geben. "Das Ziel sind 21 Prozent, alles darunter wäre eine Niederlage und ein Trauma."
Sonneborn weiß, dass es nicht einfach sein wird, aus dem Stand die PDS, die Grünen, die FDP und möglicherweise auch die SPD zu überholen. Deswegen müssen spektakuläre Aktionen her. "Uns geht es darum, Bilder von suggestiver Kraft zu bekommen, die wir im Wahlkampf in den ruinierten westdeutschen Randgebieten einsetzen können", dort, wo es an allem fehlt, weil das Geld in den Osten fließt. Diesmal soll die Mauer nicht die Massenflucht von Ost nach West stoppen, sondern den Kapitaltransfer von West nach Ost beenden.
Es ist eine Idee, gibt Sonneborn zu, die sich "inzwischen verselbständigt hat". Ein FDP-Mann aus Bayern will einen Landesverband in Bayern gründen, die "Prosecco"-Jugend der PDS geschlossen übertreten - und eine bekannte Werbeagentur hat angefragt, ob sie die Wahlkampagne gestalten könnte. Ein paar "Partei"-Freunde im Osten haben vorgeschlagen, die Dresdner Frauenkirche abzureißen, um mit den Steinen die Mauer wieder aufzubauen. "Uns ist alles recht, um der Regierung einen vor den Bug zu setzen", sagt Sonneborn.
"Es soll eine ästhetisch anspruchsvolle Mauer werden"
Am Montagabend sitzt der Chefredakteur mit zwei Weggefährten der ersten Stunde in der Gaststube des Hotels "Rhönblick" im hessischen Philippsthal direkt an der Grenze zu Thüringen und bereitet sich auf den ersten Einsatz vor. Neben ihm sitzen Georg Behrend, Journalist und Wahlkampfleiter der "Partei" ("Ich bin nicht Mitglied, ich will unabhängig bleiben") und Thomas Hintner, Generalsekretär und Creative Director bei "Titanic".
"Wie ist die Stimmung im Ort?" fragt Sonneborn. Behrend und Hintner wissen es auch nicht. Dann ziehen sie los, wie Politiker auf Stimmenfang. Im Haus gegenüber dem Hotel wohnt Herr Kranz. Er macht die Tür einen Spalt auf, Sonneborn sagt: "Wir wollen die Mauer wieder aufbauen", Herr Kranz macht die Tür wieder zu. "Der war aber verstockt", sagt Hintner.
Drei Häuser weiter wohnen die Klotzbachs. Zuerst versteckten sie sich hinter den Vorhängen und tun so, als hätten sie das Klingeln nicht gehört. Dann wird doch aufgemacht. Sonneborn sagt: "Unsere Partei macht sich dafür stark, dass die Mauer wieder aufgebaut wird." Frau Klotzbach ist von der Idee nicht angetan "Wir sind eine Ost-West-Beziehung und haben ein Kind zusammen."
Frau Darnberger, schräg gegenüber, möchte zuerst ihre Kinder ins Bett bringen. "Kommen Sie bitte in zwei Stunden wieder." - "Das ist doch ein Gesprächsangebot", freut sich Sonneborn. Bei den Schneiders ist noch Licht im Haus. "Wir sind von der 'Partei' und möchten uns gerne mit Ihnen unterhalten", sagt Sonneborn. "Und wir sind am Renovieren", sagt Frau Schneider und führt die Delegation in den ersten Stock, wo die Männer werkeln. "Wir brauchen Experten, Leute wie Sie", lockt Sonneborn, "gerade für das Baugewerbe wäre es sehr interessant, und es soll eine ästhetisch anspruchsvolle Mauer werden".
90 Ytong-Steine, vier Euro pro Stück
Frau Nordheim, die mit ihrem behinderten Sohn Frank zusammen wohnt, ist freundlich aber skeptisch: "Sie wollen die Mauer bauen? Das war doch eine schreckliche Zeit mit der Mauer." - "Aber es wird keinen Schießbefehl geben und der Bau würde Arbeitsplätze schaffen", versichert Sonneborn. Frank, der behinderte Sohn, mischt sich ein. Frau Nordheim übersetzt. "Frank kann nicht lesen, aber er kann wählen, und Fischer mag er am liebsten." Nach zwei Stunden stehen Sonneborn, Hintner und Behrend wieder vor dem Haus von Frau Dornberger, die ihre Kinder längst ins Bett gebracht haben müsste. Aber sie macht nicht auf. "Man kann sich auf nichts verlassen", schimpft Sonneborn und droht: "Wenn wir die Mauer bauen, dann so, dass dieses Haus auf der Ostseite liegt." Hintner spricht mit der Gegensprächanlage: "Das war eine Unverschämtheit! Wir sind von ihrem Verhalten schwer enttäuscht, Frau Dornberger!"
Doch richtig zur Sache geht es erst am nächsten Morgen, dem 9. November. Und diesmal sind die "Titanic"-Leute nicht allein unterwegs. Bernd, Geschäftsführer der IG Bau, Agrar, Umwelt im Bezirksverband Nordhessen, Helmut, sein Sekretär, und Henry Geschäftsführer der Gewerkschaft im Bezirk Erfurt haben ihre Hilfe angeboten. Sie wollen darauf aufmerksam machen, "dass es die Mauer bei den Löhnen immer noch gibt", sagt Henry. Im Westen liege der Mindestlohn für Maurer bei 12.47 Euro, im Osten bei 10.01 Euro. Außerdem, sagt Helmut, würden die Firmen aus dem Osten "unsere Tarifverträge mit Dumnpinglöhnen unterlaufen", einige Betriebe im Westen hätten deswegen dichtmachen müssen.
Helmut hat hat 90 Ytong-Steine besorgt, die vier Euro pro Stück kosten und zusammen 1.5 Tonnen wiegen. Mit einem kleinen Laster fährt er sie an eine Stelle im ehemaligen Niemandsland am Ufer der Werra. Während ein paar arbeitslose Maurer die hellgrauen Steine zu einer fünf Meter langen und zwei Meter hohen Mauer zusammensetzen, stellen sich die IG-Bau-Funktionäre zu einer Demonstration auf: gegen ungleiche Löhne und Lohndumping.
"Das ist ja schwachsinnig, was Sie da machen"
Es dauert nicht lange, und ein Polizeiauto fährt vor. Der Beamte sagt, er heiße Holländer und möchte sich nur davon überzeugen, "dass der Verkehr nicht behindert wird und die Mauer irgendwann auch entsorgt wird." - "Machen wir, sobald wir vom Wähler den Auftrag dazu bekommen haben", verspricht Sonneborn. Dann taucht der Bürgermeister von Philippsthal, Klotzbach, auf. Er sagt: "Das ist ja schwachsinnig, was Sie da machen." - "Hätten Sie nicht Lust, für uns zu arbeiten?", fragt Sonneborn. "Mit Sicherheit nicht!", antwortet der Bürgermeister und geht wieder. Sein Kollege aus Vacha, Pach, ist auch nicht amüsiert. "Sie wecken die Geister, die wir beruhigen wollen. Was Sie machen, ist Rückschritt."
Sonneborn freut sich. Kann einem Satiriker etwas Besseres passieren, als ernst genommen zu werden? "Sie gehören mit dem Baseballschläger vor die Knie geschlagen, Sie Schwachmatiker!", ruft ein Mann aus Philippsthal, der seit der Wende "einen solchen Affront noch nicht erlebt" hat. "In der Demokratie muss man lernen, miteinander zu reden", antwortet Sonneborn, schon ganz Politiker, und gibt ein Wahlversprechen ab: "Sobald wir Schröder abgelöst haben, wird es wieder blühende Landschaften geben."
Es fängt an zu schneien. Ein kalter Wind pfeift durch das Niemandsland an der Werra. Sonneberg und seine Mitstreiter entrollen noch zwei große Transparente, erklären die Kundgebung für beendet und rollen zurück in den Westen. Die Helfer von der IG Bau bleiben mit der Mauer allein. Ein älterer Mann, der nur das Finale mitbekommen hat, wundert sich: "Was ist das für eine Truppe? Ganz richtig im Kopf sind die nicht."