Studenten als Kandidaten Politikerkarriere statt Hausarbeiten
Im Wahlkampf schlägt die 68er-Generation vielleicht ihre letzte ganz große Schlacht, an der politischen Basis jedoch kandidieren reichlich Studenten. Sie könnten den Altersdurchschnitt im Bundestag senken: Über sechzig Prozent der Parlamentarier sind zwischen 50 und 65 Jahren alt, diesseits der Dreißig gibt es nur eine Handvoll Abgeordneter. SPIEGEL ONLINE stellt einige der studierenden Bewerber vor.
Anna Lührmann: Jüngste Abgeordnete aller Zeiten
Hessische Grünen-Kandidatin, 22, Main-Taunus-Kreis, studiert Politik und Organisation an der Fernuni Hagen
Über 30 Direktkandidaten stellen die Grünen bei den Bundestagswahlen, so viele wie die anderen Parteien zusammen. Am bekanntesten ist Anna Lührmann, die 2002 mit 19 als jüngste Abgeordnete aller Zeiten in den Bundestag eingezogen war. Nebenbei begann sie an der Berliner Humboldt-Uni zu studieren, doch nach zwei Semestern wurde es ihr zu stressig, zwischen Ausschusssitzungen noch zu Seminaren zu hetzen. Sie wechselte an die Fernuni Hagen und macht dort einen Bachelor in Politik und Organisation.
"Ich habe viele Freunde, die studieren, auch meine Mitbewohner, deswegen vermisse ich den Kontakt zu Studenten nicht", sagt Lührmann. "Aber ich hätte schon Lust, noch mal an eine richtige Uni zu gehen und zum Beispiel im Ausland einen Master zu machen." Dafür würde sie auch eine Pause in ihrer politischen Karriere einlegen, die aber erstmal weiter geht - mit dem dritten Platz auf der hessischen Landesliste.
Für Wirbel hatte Lührmann mit einem Interview gesorgt, in dem sie sich für Studiengebühren aussprach, wenn auch unter bestimmten Bedingungen. Ihre Partei dagegen fordert ein gebührenfreies Erststudium. "Es hat mir keiner übel genommen, dass man auch mal andere Diskussionen führt", sagt Lührmann. Doch nun äußert sie sich zum Thema deutlich vorsichtiger und betont: "Ich bin klar gegen Gebühren, wo jeder 500 Euro cash bezahlt, bevor er studieren kann."
Auf ihrer Website schreibt die 22-Jährige über eine Wahlveranstaltung vor einer Schule: "Ich bin extrem froh, nicht mehr in die Schule gehen zu müssen. Kann mich noch gut an das genervte, gelangweilte Gefühl erinnern." Man müsse den Schulen mehr Autonomie und den Schülern mehr Mitspracherechte geben, sagt Lühmann. "Es würde mich auch reizen, einmal in der Landespolitik für Schulen zuständig zu sein."
Christopher Paun: Harter Brocken als Gegner
Berliner FDP-Kandidat, 26, tritt an in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost und studiert Internationale Beziehungen in Berlin und Potsdam
Pauns Wahlkreis ist eine besondere Herausforderung. Die Spaßpartei KPD/RZ hat es hier vor einigen Jahren schon ins Bezirksparlament geschafft und ist nun bei der PARTEI dabei. Doch die härteste Nuss für Christopher Paun heißt Christian Ströbele. Der Grüne mit dem roten Schal hat bei der letzten Wahl erstmals ein Direktmandat für seine Partei geholt. Das muss er auch diesmal, um wieder in den Bundestag zu kommen.

Paun weiß, dass er chancenlos ist - das Duell führt Ströbele mit der Bezirksbürgermeisterin von der Linkspartei. Doch der Master-Student freut sich über viel positive Resonanz. "Ich bin selbst überrascht", sagt er, "2002 gab es deutlich mehr negative Reaktionen und Leute, die uns als Kapitalistenschweine beschimpft haben."
Die überraschende Neuwahl hat auch Pauns Studienplan durcheinander geworfen: "Die Hausarbeiten, die ich mir vorgenommen hatte, sind alle geknickt. Bisher liegt er in der Regelstudienzeit, trotz Auslandssemester und abendlicher Sitzungen im Bezirksparlament, wo er sich für mehr Grillplätze und längere Ausschankzeiten der Straßencafés einsetzt. In der Bildungspolitik setzt Paun auf Studiengebühren: "Wir wollen, dass derjenige das Studium bezahlt, der davon profitiert."
Ein weiterer Schwerpunkt ist das Bürgergeld, zu dem sämtliche Sozialleistungen zusammengefasst werden sollen. "Bei Geringverdienern funktioniert es als negative Lohnsteuer oder eine Art Kombi-Lohn", sagt Paun. Auch Studenten sollen davon profitieren, weil Ausbildungsförderung und Bafög ins Bürgergeld integriert werden. Doch ganz so einfach und unbürokratisch ist das Modell nicht. Bei der Frage, wann Studenten darauf Anspruch haben und wie das Einkommen der Eltern angerechnet wird, muss Paun passen: "Ich frag mich gerade selber, wie das ist."
Arne Müseler: Spaßwahlkampf mit der Satire-Truppe
Bochumer Politikstudent, 23, tritt für die PARTEI im Wahlkreis Hamm/Unna II an
Arne Müseler macht am liebsten Wahlkampf vor dem örtlichen Kino, vor allem dienstags, denn da ist Kinotag. "Wir konzentrieren unseren Wahlkampf jetzt auf Jugendliche, das ist die am leichtesten verführbare Gruppe", sagt er. Außerdem kommt seine "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative" (PARTEI) da gut an, während Rentner eher über den "Klamauk" schimpfen.
Kein Wunder, Müselers Lieblingsprojekt heißt "Hamm ins Wasser". Das überbietet Pläne des Bürgermeisters für einen künstlichen See in der City: Müseler fordert gleich die Flutung der ganzen Innenstadt, um Hamm zum "Venedig des Westens" zu machen. Den Wahlkampf findet der Student der Bochumer Ruhr-Uni bisher unterhaltsam und nur eines schade: "Ich konnte meiner Freundin noch nicht öffentlich sagen, dass ich sie liebe."
Zur Politik kam Müseler ganz einfach. Er ist Abonnent des Satiremagazins "Titanic". Als die Spaß-Truppe um Martin Sonneborn die PARTEI ins Leben rief, gründete Müseler den Ortsverband Hamm. Und tritt nun als Direktkandidat gegen Laurenz Meyer (CDU) und Dieter Wiefelspütz (SPD) an. Solches Engagement freut den "Titanic"-Chefredakteur und PARTEI-Vorsitzende Sonneborn: "Die Leser und Abonnenten stehen uns als willige Marionetten zur Verfügung."
Bei den Veranstaltungen wird oft und laut das DDR-Lied "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht" gespielt. Man punktet mit Nonsens-Parolen, in Sachen Bildungspolitik ist das Programm, nun ja, unausgereift. "Wir sind gegen Studiengebühren und wollen Bafög für alle", sagt Müseler. Und gibt schnell zu, dass die Elitenförderung nur im Namen stehe, um die Abkürzung PARTEI hinzubekommen. Wahlziel des Studenten ist es, "irgendeine andere Splitterpartei zu überholen, am liebsten natürlich die FDP". Ob's klappt oder nicht, im nächsten Semester geht Müseler wieder an die Uni. Ihn kann nichts schrecken, schon gar nicht Schikanen humorloser Politikprofessoren: "Das ist das Tolle an der Massenuni, da kennt sowieso niemand meinen Namen."