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Partei-Exoten: Wie die Bundesrepublik "balkanisiert" werden soll

Neben den großen Parteien kämpfen auch kleinere Gruppierungen mit aller Kraft für ihre politischen Ziele und den Einzug in den Bundestag - wenn auch mit wenig Aussicht auf Erfolg. Vor allem eine Formation sorgt für viel Wirbel.

Sie fordern ein "Wahlrecht ab Geburt", die "Förderung des Vegetarismus" oder eine "Neuausrichtung auf den lebendigen Gott der Bibel". Sie wollen die "Eigenstaatlichkeit" für Bayern, die Schaffung der "Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa" oder ein "starkes Ost-Bundesland", das "auch baulich vom Rest der Bundesrepublik getrennt werden" soll. 19 Kleinparteien treten mit eigenen Landeslisten zur Bundestagswahl am 18. September an - darunter regionale und christliche Gruppen, Linke und Rechte, Protestparteien und Spaßparteien. Doch vor allem eine Formation sorgt kurz vor der Wahl für mächtig Wirbel: die Anarchistische Pogo-Partei (APPD).

"Balkanisierung Deutschlands"

Stein des Anstoßes ist der Wahlwerbespot der APPD, der eine anarchistische Orgie zeigt - Gewalt gegen Gegenstände, sexuelle Handlungen und der Verzehr von Hundefutter inklusive. In schnellen Schnitten und zu treibender Musik werden Szenen gezeigt, die weder ARD noch ZDF ihren Zuschauern zumuten wollten. Mehrere Gerichte mussten sich bereits mit der Frage beschäftigen, ob und in welcher Länge ARD und ZDF den Spot senden müssen. Zuletzt zog die Partei sogar bis vors Bundesverfassungsgericht. Nach Eilverfahren vor verschiedenen Verwaltungsgerichten entschied schließlich das Bundesverfassungsgericht: Nein, so etwas müssen die Sender nicht zeigen. Im Internet wirbt die APPD, die sich selbst als "Partei des Pöbels und der Sozialschmarotzer" bezeichnet, für die "Balkanisierung Deutschlands", fordert die "ultimative Rückverdummung der Menschheit" und proklamiert: "Arbeit ist Scheiße!"

Andere Parteien, die neben den "Großen" SPD, CDU/CSU, FDP, Grüne und Linkspartei um Wählerstimmen werben, kämpfen dagegen mit aller Kraft für ihre politischen Ziele und den Einzug in den Bundestag - wenn auch mit wenig Aussicht auf Erfolg. Denn wegen der bundesweit geltenden Fünf-Prozent-Hürde teilen sich die Partei-Exoten ein Schicksal: In der Regel fallen sie am Wahlabend auf den Ergebnis-Tafeln im Fernsehen ungenannt unter den Balken "Sonstige".

"Wir wissen uns in Verantwortung vor Gott, das ist unsere Motivation", sagt der Vorsitzende der Partei Bibeltreuer Christen (PBC), Gerhard Heinzmann. Die PBC lehnt Abtreibungen ab, tritt für Gebete an Schulen ein und fordert die "Erschwerung der Ehescheidung". Die Tierschutzpartei dagegen wirbt unter anderem für ein Totalverbot von Tierversuchen, die Grauen kämpfen für eine "Verbesserung der Lebensbedingungen älterer Menschen". Und die Familien-Partei fordert ein Wahlrecht für Kinder, das "in der auch sonst bewährten Stellvertretung durch die Eltern" ausgeübt werden soll. Bei den Landtagswahlen im Saarland und Brandenburg 2004 kam die Partei immerhin auf 3,0 und 2,6 Prozent - "Achtungserfolge", sagt der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer anerkennend.

"Die meisten Kleinparteien bleiben klein"

Bei Bundestagswahlen aber sind Splitterparteien Stimmenanteile in dieser Größenordnung in der Regel nicht vergönnt. 2002 etwa kamen die "Sonstigen", darunter auch die rechtsextremen Republikaner und die ebenfalls rechtsextreme NPD, zusammen nur auf 3,0 Prozent. Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive landete bei 0,8 und die Tierschutzpartei bei 0,3 Prozent, die Grauen und die PBC kamen auf jeweils 0,2 Prozent. Bei allen anderen waren es maximal 0,1 Prozent. "Die meisten Kleinparteien bleiben klein, verschwinden aber auch nicht", sagt Niedermayer. "Viele von ihnen haben eine kleine, aber fest gebundene Wählerschaft." Einige besetzten erfolgreich "ideologische Nischen".

Neben der APPD gibt es aber auch andere schillernde Grüppchen, die der Bundeswahlausschuss als Parteien anerkannt hat und die die nötige Zahl von Unterstützer-Unterschriften aufbringen konnten - 200 für einen Wahlkreiskandidaten, bis zu 2000 für eine Landesliste. Die von Redakteuren der Satire-Magazins "Titanic" gegründete Partei "Die Partei" (lang: "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative") etwa will die Ost-Länder zur "Sonderbewirtschaftungszone" erklären - und die Berliner Mauer wieder aufbauen. Damit solle - so das Wahlprogramm - "unserer modernen, fortschrittlichen und zukunftsweisenden Idee einer solchen Zone Nachdruck verliehen werden". "Ich bin entsetzt und beschämt, dass die APPD es geschafft hat, in die "Bild"-Zeitung zu kommen, auf eine ganze Seite. Das hatten wir eigentlich für uns reserviert, und das macht mich natürlich traurig", sagt "Titanic"-Chefredakteur Martin Sonneborn.

Im neuesten Spot der "Partei", der am Mittwoch im ZDF gezeigt wurde, wurde an einem Besenstiel ein Pappflugzeug durch das Bild geschoben, während Parteichef Sonneborn mit staatstragender Stimme doziert: "Wir haben als einzige Partei ein Programm, das Schleichwerbung nachhaltig ächtet." Zum Schluss serviert eine Stewardess einen Kaffee. Die "Partei" hatte zunächst die kostenlose Wahlwerbezeit, die ihr in den öffentlich-rechtlichen Programmen zu Verfügung steht, bei e-bay versteigert. Dann aber kauften die Parteioberen ihre Werbezeit zurück, um sie für Schleichwerbung zur Verfügung zu stellen. Seither hat sich in den Werbespots das knallige Gelb einer Billigfluglinie breitgemacht.

Dass vor allem kleine Parteien durch provokante Spots Aufmerksamkeit erzielen wollen, ist nicht neu, sagt ZDF-Justiziar Carl-Eugen Eberle. Bei dieser Wahl habe es aber doch "noch eine gewisse Steigerung" gegeben: "Einmal in Form der APPD, die vom Inhalt her einen besonders zu beanstandenden Spot gedreht hat, und zum anderen die Aktion der "Partei". Das ist eine neue Variante gewesen, Werbebotschaften in den Spot einzubauen."

"Kein Verstoß gegen allgemeine Gesetze"

Rechtlich gesehen dürfen die Sender die Ausstrahlung von Wahlwerbung nur verweigern, wenn es sich bei den Spots entweder überhaupt nicht um Wahlwerbung handelt, oder der Inhalt der Sendung "offenkundigen und schwerwiegend" gegen allgemeine Gesetze verstößt, etwa den Jugendschutz. Dies ist bei dem "Partei"-Spot nicht der Fall, urteilt Eberle: "Es ist Wahlwerbung, und dass daneben noch Wirtschaftswerbung dargestellt ist, stellt keinen offenkundigen und schwerwiegenden Verstoß gegen die allgemeinen Gesetze dar."

Glücklich ist Eberle darüber nicht. "Der Gesetzgeber hat sich so einen Fall sicherlich nicht vorgestellt. Und auch diese satirischen Nutzungen und Verkehrungen von Wahlwerbung hat er sich sicher nicht vorgestellt." Das Problem sei, dass aus Sicht der Zuschauer die Wahlwerbespots immer auch den Sendern zugerechnet würden, obwohl nur die Parteien für den Inhalt verantwortlich sind. "Es ist sicher Sache der Politik, zu überlegen, ob man die Regeln, die für die Aussendung von Wahlwerbespots gelten, verschärft." Auch der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli von der Universität Koblenz-Landau sieht die Satire-Aktionen skeptisch: Das Wahlrecht erfordere die Ernsthaftigkeit der Parteien. "Aber wenn die Demokratie die Slogans der NPD aushält, dann Satire allemal."

Christoph Trost und Jochen Neumeyer/DPA / DPA