Spaß mit dem Kreuz

Zwischen Wahlboykott und Bergpartei

Der Wahltag rückt näher und die Diskussionen um das Abschneiden dieser oder jener Partei oder Koalition füllt die Medien. Dabei gibt es hierzulande auch Menschen, die an diesen Debatten gar kein Interesse haben. So fleißig, wie andere ihr Kreuz am Wahlzettel zur Bürgerpflicht erklären, rufen sie vor jeder Wahl zum Boykott auf.

Ein ordentlicher Wahlboykott beschäftigt in Deutschland zunächst mal die Juristen. Gleich vier Rechtsanwaltsbüros sind für die Sammlung der Unterstützerunterschriften für den Boykott zuständig. Was dem einen der Wahlzettel, ist dem anderen seine Boykotterklärung, denkt man bei soviel bürokratischen Gehabe.

Auch die Argumente für den Wahlboykott zeigen, dass es sich hier um enttäuschte Staatsbürger handelt, welche die Versprechen der Parteien ernst nehmen, aber feststellen, dass sie gar nicht verwirklicht wurden. So wird noch mal aufgezählt, dass Rot-Grün keine Kriege verhindert habe, den Atomausstieg nicht wirklich geschafft und den Sozialabbau mächtig vorangetrieben haben soll. Die liberal-konservativen Regierungsanwärter werden diesen Kurs beschleunigt fortsetzen, heißt es im Aufruf.

Schwerer tut man sich da schon mit den Argumenten zur Linkspartei. Einerseits wird davor gewarnt, sich abermals die Finger zu verbrennen, nachdem man doch schon mit den Grünen so seine Erfahrungen gemacht hat. Andererseits wird aber auch darauf verwiesen, dass sie Linkspartei gar nicht die Macht und den Einfluss haben wird, um sinnvolle Ideen durchzusetzen. Ein solches Argument kommt auch gern von großen Parteien, um die Wähler von der Stimmabgabe von kleinen Parteien, die ja eh nichts bewirken können, abzuhalten. Wenn in den Diskussionsforen dann einige ihre Unterstützung des Wahlboykotts mit der angeblichen Beschädigung der Demokratie und der Verfassung durch die vorzeitige Parlamentsauflösung begründen, vermisst man doch mal eine nüchterne Staatskritik, wie sie beispielsweise der Politologie Johannes Agnoli in seinem früher auch gerne für Wahlkritik herangezogenen Standardwerk "Transformation der Demokratie“ vor mehr als 35 Jahren geliefert hat.

Auch den Wahlboykottinitiativen, die nicht so sehr aus Enttäuschung über Rotgrün sondern aus anarchistischen Motivationen entstanden sind, fehlt meistens eine theoretische Grundierung, so dass sie über das Wiederholen der immergleichen Postulate nicht hinauskommen. Da kann der Wahlboykott ebenso zum Dogma werden, wie bei den anderen das Wahlkreuz.

Doch das ist längst nicht mehr für alle die Alternative. Zahlreiche Spaßparteien erfreuen sich vor allen in Großstädten im Umfeld des kulturellen Milieus am Übergang von der Subkultur zur Etablierung verstärkter Beliebtheit. Am bekanntesten ist die vom Satiremagazin Titanic geförderte "Partei" geworden, die es mit Witz immer wieder versteht, in die Schlagzeilen zu kommen (vgl. Bei Ebay wird ein Wahlspot versteigert). Etwas anachronistisch wirkt dagegen die Anarchistische Pogo-Partei. Einst hatte sie eine Vorreiterrolle bei der Etablierung der Spaßparteien (vgl. Droht ein lustiger Bundestagswahlkampf?), aber heute wirkt sie wie eine in die Jahre gekommene Punkband, die nicht abtreten will.

Seit Christoph Schlingensief mit seiner "Chance 2000" die Spaßparteien-Szene modernisierte, sehen die Alt-Punks von der APPD ganz schön alt aus. Forderungen, wie die Einrichtung von Mitfickzentralen und das Verbot aller angemeldeten Demonstrationen mögen mal provokativ gewesen sein, heute kann man das Gähnen schwer unterdrücken. Im realen Leben haben führende APPD-Aktivisten wie Erik Vogel und Karl Nagel aus reiner politischen Unkorrektheit auch schon mal mit Neonazis geflirtet.

Mit der Bergpartei ist eine neue Variante von Spaßpartei in Berlin aus dem subkulturellen Milieu der Ostberliner Hausbesetzerbewegung, das sich mittlerweile im Stadtteil Friedrichshain zum neuen Mittelstand gemausert hat, aufgestiegen. Die Spaßparteien sind für das bisher staatskritische Milieu auch ein Einstieg ins Politikgeschäft. Bei den Spaßparteien können die Techniken erlernt werden, die für eine spätere Karriere in anderen Parteien nützlich sind.

Obwohl der Bergpartei aus formalen Gründen die Teilnahme an den Wahlen untersagt wurde, wollen Einzelkandidaten den grünen Direktkandidaten Ströbele in seinem Wahlbezirk herausfordern. "Bei uns macht Hauke den Ströbele", heißt es unter Verweis auf den Bergpartei-Kandidaten Hauke Stiewe auf Plakaten. "Spaß kann auch Politik machen", lautet eine andere Parole. Hier macht Hauke den Westerwelle. Schließlich war es der FDP-Chef, der bei der letzten Wahl den Spaßwahlkampf so richtig populär gemacht hatte. (Peter Nowak)